Bild: Oliver Hanser

Kirsten Astor hat für den Südkurier ein Interview mit unserem ausscheidenden Schulleiter Elmar Mosbrugger geführt. Das Interview erschien (gekürzt) am 18.07.20 im Südkurier, eine erweiterte Fassung wurde am 21.07.20 auf Südkurier online veröffentlicht. Lesen Sie hier das ganze Interview:

 

Der vermutlich dienstälteste Konstanzer Lehrer geht in den Ruhestand – im Interview zieht Berchen-Schulleiter Elmar Mosbrugger Bilanz

„Ich stehe hinter der Hauptschule“, sagt der Leiter der Berchenschule, der 46 Jahre lang für seine Schülerinnen und Schüler da war. Dabei hat er viel erreicht – aber durchaus auch einmal Fehler gemacht, wie er gesteht.

 

Herr Mosbrugger, wie geht es Ihnen so kurz vor dem Ruhestand zum Schuljahresende?

Mir geht‘s gut, ich bin gesundheitlich fit und denke, nach 46 Jahren als Lehrer und 30 Jahre Schulleitung darf man gehen. Die Schule ist gut aufgestellt, also freue ich mich über die letzten Wochen, aber dann auch auf den letzten Tag. Schade ist nur, dass es wegen Corona den geplanten Abschlussabend mit unserer Berchenband im Kollegium nicht geben wird.

Warum sind Sie eigentlich Lehrer geworden?

Mit 18 Jahren war das keine richtig bewusste Entscheidung; große pädagogische Vorstellungen hatte ich nicht. Ich habe selbst gute Lehrer in meiner Schulzeit erlebt, aber auch weniger gute. Das war sicherlich ein Beweggrund, bestimmte Dinge umzusetzen, gerade mit Jugendlichen. Deshalb wollte ich auch immer in der Hauptschule arbeiten, ich stehe zu der Schulart. Der Reiz war auch, dass man nach drei Jahren Studium fertig war und ich mit 21 Jahren dann an der Sonnenhaldeschule anfangen konnte. Außerdem war mein Abi nicht so gut, dass ich den Numerus Clausus sofort bewältigt hätte für die Fächer, die ich an einer Universität hätte studieren wollen: Deutsch und Geschichte.

Sie wussten als Student nicht, was in der Praxis auf Sie zukommt. Wie war die erste Zeit?

Die ersten beiden Jahre als junger Lehrer waren die schwierigsten. Die Erfahrungen, die ich damals machte, hoben sich total ab von der Lehre an der Pädagogischen Hochschule. Die Vorbereitung dort war eine denkbar schlechte. Damals sprach man in der Literatur vom Praxisschock. Den habe ich auch erlebt.

Inwiefern?

Ich ging mit der Einstellung in den Unterricht – in eine Klasse mit 35 Schülern –, dass wir partnerschaftlich miteinander umgehen, auf Augenhöhe. Nach dem Motto: ‚Ich will euch nichts Böses, das erwarte ich von euch auch.‘ Das wollten die Schüler aber gar nicht. Da bin ich ganz gehörig auf die Nase gefallen. Ich habe dann gemerkt, dass Unterricht nur über klare Ansagen funktioniert. Ich als Lehrer bestimme den Weg, auf einer vernünftigen, menschlichen Ebene.

Was sollte ein guter Lehrer also mitbringen?

Eine gewisse Autorität. Klarheit und Konsequenz sind wichtig. Dabei muss man die Schüler annehmen, wie sie sind, gerade in der Hauptschule. Aber auch hier muss Leistung verlangt werden. Dass die fachliche Kompetenz bedeutend ist, steht außer Frage. Methodisch-didaktische Fragen spielen nicht die große Rolle. Wenn jemand gern unterrichtet, überzeugt ist von seiner Tätigkeit und Mensch bleibt, vermittelt er die Inhalte mit den Methoden, hinter denen er steht, immer gut – ob im Frontalunterricht oder in offenen Arrangements. Da hilft auch eine strukturierte Klassenführung. Die Lehrperson steht für mich nach wie vor im Mittelpunkt der Wirksamkeit von Unterricht.

Sie sind seit 25 Jahren an der Berchenschule. Ist sie Ihr zweites Zuhause geworden?

Wenn man so lange an einer Schule arbeitet, fühlt man schon eine gewisse Verbindung. Im Mai dieses Jahres habe ich „Silberne Hochzeit“ mit der Berchenschule gefeiert (lacht). Wenn ich hier nicht gerne gearbeitet hätte, hätte ich meine Dienstzeit auch nicht um drei Jahre verlängert. Aber als Zuhause würde ich die Berchenschule nicht bezeichnen.

Haben Sie auch deshalb verlängert, um den Fortbestand der Schule zu sichern, der ja mehrfach auf der Kippe stand?

Das war ein Grund, ja. Ich wollte gern, dass es hier so weiterläuft, wie wir uns das vorstellen. Es hat sich gezeigt, dass das der richtige Weg war und ist. So kann auch weiterhin der Werkrealschulabschluss in der Stadt angeboten werden.

Wie haben Sie das Ende der Werkrealschule zweimal abgewendet? Mit Überzeugungskraft oder Sturheit?

Sicherlich mit beidem. Intensive Gespräche, klare Stellungnahmen und eine kritische Haltung haben sicherlich auch zum Fortbestand unserer Werkrealschule beigetragen. Und ich gebe bei nötigen Auseinandersetzungen auch nicht klein bei. Von daher sind vielleicht einige froh, wenn ich weg bin (lacht). Ein schönes Erlebnis als Schulleiter war, als zwei Bürgermeister – Herr Boldt und Herr Osner – unsere Schule schließen wollten, 2012 und 2016, wir aber die Gremien davon überzeugen konnten, dass dies die falsche Entscheidung wäre. Die Gremien, also der Schulausschuss und der Gemeinderat, standen dann sehr eindeutig auf unserer Seite. Die Akzeptanz unserer Werkrealschule zeigt sich gerade bei den Schülerzahlen: 2010/11 hatten wir 114 Hauptschüler, jetzt haben wir 202. Das ist ein Beleg dafür, dass auch wir eine Existenzberechtigung haben.

Warum sind Sie als Werkrealschule so erfolgreich, während viele andere im Land schließen mussten?

Zum einen sind wir als Schulleitung und Kollegium schon lange zusammen, wir haben wenig Fluktuation. Diese Konstanz gibt Eltern und Schülern Sicherheit. Wunder vollbringen auch wir nicht (lacht). Wichtig ist die Grundschule, die mit einem Ganztagsangebot einen Lern- und Lebensort bietet und sehr früh für eine hohe Bindung sorgt. 90 Prozent besuchen bei uns die Ganztagsschule. Die Kinder spüren hier Geborgenheit und wechseln auch gern in die fünfte Klasse. Als eigenständige Werkrealschule ohne Grundschule hätten wir es wesentlich schwerer. Eine Rolle spielt auch die frühzeitige Einführung des zehnten Schuljahres im Jahr 1996, sodass die Hauptschüler hier ihre Mittlere Reife machen können. Das ist attraktiv. Wir waren auch früh in der Inklusion tätig und haben mittlerweile 20 inklusiv unterrichtete Kinder. Dass wir eine kleine Schule sind, spielt für die Familien auch eine wichtige Rolle. Darüber hinaus wollten wir uns bewusst abheben vom Lernkonzept einer Gemeinschaftsschule und Haupt-/Werkrealschule bleiben. Für unsere Schüler ist der lehrergeleitete Unterricht sehr wichtig, eine alleinige Ausrichtung auf ein eigenständiges Lernen würde sie überfordern.

Ein Plädoyer für die Hauptschule!

Ja, leider mussten in Konstanz in den vergangenen Jahren zahlreiche Hauptschulen schließen. Der Mensch beginnt aber nicht beim Abitur. Es haben so viele Schüler ihren Weg über die Hauptschule gemacht. Deshalb heißt sie ja so: Haupt-Schule. Die Krux heutzutage ist, dass das gesellschaftliche Ansehen für Kopfarbeiter höher ist als für Handarbeiter, was mich gewaltig stört!

Überfordern Eltern oft ihre Kinder, indem sie sie an Schularten anmelden, die nicht zum Kind passen?

Das denke ich schon, weil der Glaube existiert, mit möglichst hohem Abschluss seien die Möglichkeiten besser. Aber die Durchlässigkeit unseres Bildungssystems ist so groß, auch mit Haupt- oder Werkrealschulabschluss geht es immer weiter. Und das berufliche Schulwesen bietet hervorragende Anschlussmöglichkeiten, bis hin zum Abitur. Das geht vielen aber zu spät auf. Eine mögliche Folge der Überforderung ist dann Schul-Unlust. Schulverweigerung ist heutzutage immer mehr ein Problem, das leider noch nicht so im Fokus ist wie es notwendig wäre.

Sind Sie neidisch auf die Gemeinschaftsschule, die so viel Aufmerksamkeit bekommt?

Nein, auf keinen Fall. Die Konstanzer Gemeinschaftsschule Gebhard ist ein Leuchtturm in Baden-Württemberg, sie arbeitet sehr erfolgreich. Was ich kritisch sehe, ist die Verabsolutierung des Systems Gemeinschaftsschule, auch in den Gremien der Stadt Konstanz. Dass ein Neubau und jetzt die Erweiterung entstehen, ist völlig selbstverständlich und notwendig. Ich habe hohen Respekt vor der Leistung der Gebhardschule. Zum Beispiel Unterricht auf drei Niveaus richtig vorzubereiten, verlangt sehr viel ab. Trotzdem haben wir uns davon bewusst abgehoben. Auch weil wir dachten: So erfolgreich, wie die Gebhardschule ist, haben wir als zweite Gemeinschaftsschule keine Chance. Jeder will zum Original gehen.

Das Problem taucht ja nun erneut auf, weil in Konstanz eine zweite Gemeinschaftsschule gegründet werden soll.

So ist es. Deshalb habe ich in der Schulentwicklungsdiskussion auch gesagt, dass das schwierig wird.

Auch vor Ihrer Leistung kann man Respekt haben, Sie haben mit Ihrer Schule dazu beigetragen, das einst schwierige Berchengebiet zu befrieden. Wie gelang dies?

Zum einen war die Aktion Soziale Stadt, initiiert von der damaligen Schulamtsleiterin Waltraut Liebl-Kopitzki, eine ganz wichtige Maßnahme. Der Stadtteil profitierte durch bauliche Veränderungen und Gestaltung, genauso wir als Schule. Es wurden Treffpunkte gegründet. Das hat die Vorurteile in den Köpfen weniger werden lassen, auch wenn sie nicht verschwunden sind. Unser Beitrag war, dass wir sehr früh zur Ganztagsschule wurden. Das bietet Kindern und Jugendlichen einen Ort, an dem sie sich aufhalten können und sinnvoll beschäftigt werden. Vielleicht haben die positiven Einschätzungen der Schule auch Rückwirkungen auf das Berchengebiet.

Ist das ein Plädoyer für mehr verbindliche Ganztagsgrundschulen in Konstanz, weg von der Freiwilligkeit der Kernzeitbetreuungen?

Was die Fördervereine an den Konstanzer Grundschulen anbieten, ist eine ganz wichtige Arbeit im Bereich der Betreuung. Wir bieten als Ganztagsschule aber nicht nur Betreuung, sondern auch der Nachmittag ist integriert in den schulischen Vormittag. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Die Ganztagsschule wird von Lehrern getragen, unterstützt vom pädagogischen Personal der Stadt. Bei uns machen die Kinder am Nachmittag ihre Hausaufgaben mit den Lehrern, die sie am Vormittag gestellt haben. Dadurch entfällt am nächsten Morgen die Kontrolle der Hausaufgaben, und es bleibt mehr Zeit fürs Lernen. Das muss man wollen, denn es bedeutet viel Arbeit. Ich würde die Ganztagsgrundschule aber immer empfehlen.

Das ist auch eine Erleichterung für die Eltern.

Ja, die schätzen das, weil die Hausaufgaben oft ein trauriger Streitpunkt zu Hause sind. Wenn 23 Zweitklässler sie bei uns gemeinsam erledigen, gibt es keine Widerstände. Weil alle die Hausaufgaben machen müssen.

Können Sie jetzt loslassen oder haben Sie immer ein Auge auf die Berchenschule?

Ich werde loslassen und möchte auch den Abstand haben. Es wird hier gut weitergehen, meine Stellvertreterin Angela Murmann-Ise übernimmt als Leiterin, bis sich eine neue Schulleitung gefunden hat. Natürlich halte ich weiterhin Kontakt, aber ich gehe mit einer gewissen Gelassenheit.

Zur Person 

Elmar Mosbrugger, 67 Jahre, ist gebürtiger Konstanzer und legte sein Abitur 1971 am Humboldt-Gymnasium ab. Anschließend studierte er an der Pädagogischen Hochschule Weingarten Grund- und Hauptschullehramt. Seine erste Stelle trat er mit 21 Jahren an der Konstanzer Sonnenhaldeschule an, damals noch Grund- und Hauptschule (GHS). Als die Kooperative Gesamtschule (heute Geschwister-Scholl-Schule) eröffnete, wechselte Elmar Mosbrugger 1976 dorthin. Er blieb 14 Jahre lang, wurde 1990 Konrektor an der GHS Dettingen, leitete ab 1995 für ein halbes Jahr kommissarisch die Grundschule Wollmatingen und wurde parallel Leiter der Berchenschule. Zum Schuljahresende geht er in den Ruhestand. Er möchte weiterhin in der Lehrerband der Berchenschule Gitarre spielen und singen, viel lesen, Gemüse anbauen und Lehrveranstaltungen in Geschichte an der Uni Konstanz besuchen (sobald dies wieder möglich ist). Elmar Mosbrugger hat eine erwachsene Tochter.

 

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